Der Besuch des Bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß in Laatzen
„Eine lebende Legende im Wahlkampf für Gansäuer“
„Eine lebende Legende im Wahlkampf für Gansäuer“ – so titelte das Amtliche Mitteilungsblatt „Unsere Stadt“ in der Ausgabe vom 11. Juni 1986 über den Besuch des CSU-Vorsitzenden und Bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß in Laatzen wenige Tage zuvor am 5. Juni. Auf Einladung des CDU-Landtagskandidaten Jürgen Gansäuer sollte Strauß die CDU beim Wahlkampf kurz vor der Niedersächsischen Landtagswahl am 15. Juni 1986 unterstützen. Jürgen Gansäuer, Landtagspräsident a.D., erinnert sich heute noch sehr gut an den Besuch des Bayerischen Ministerpräsidenten: „Als ich mit ihm in München über meine Heimatstadt Laatzen sprach, hat er sofort eingewilligt, unserer Stadt einen kurzen Besuch zu machen. Auch unser damaliger SPD-Bürgermeister Horst Lecke ist davon begeistert gewesen.“
Bei der letzten Landtagswahl 1982 hatte die CDU unter Ministerpräsident Ernst Albrecht ihr bis dato bestes Ergebnis überhaupt in Niedersachsen erzielt. Dem Amtsinhaber gegenüber stand der damalige Hannoveraner Bundestagsabgeordnete und heutige Altkanzler Gerhard Schröder. Jürgen Gansäuers Konkurrent im Wahlkreis Laatzen/Hemmingen/Pattensen/Ronnenberg war Hans Lehnert (SPD). Die SPD hatte den damaligen ersten Bürgermeister der Hansestadt Hamburg, Klaus von Dohnanyi, zum Wahlkampf nach Laatzen eingeladen. Eine Stunde vor Strauß stellte von Dohnanyi schon klar, dass jeder, der mit dem Bayerischen Ministerpräsidenten ins Gespräch kommen würde, „eine sehr amüsante Unterhaltung“ hätte.
Und tatsächlich war der Beginn seines Besuchs recht amüsant. Zunächst trug sich Strauß in das Goldene Buch der Stadt Laatzen ein. Dabei gab es offensichtlich einiges zu Lachen, wie Fotos des Besuchs im Bestand des Stadtarchivs zeigen. Anschließend überreichte Strauß dem Laatzener Bürgermeister Horst Lecke (SPD) seinen Bayerischen Staats-Zinnteller. Dieser Zinnteller wird heute im Stadtarchiv Laatzen aufbewahrt. Horst Lecke konnte sich über ein besonderes Lob des CSU-Vorsitzenden freuen: Strauß attestierte ihm „eine vorbildliche demokratische Haltung“, da er den Ministerpräsidenten, obwohl aus einem anderen politischen Lager, so freundlich empfing. Auf Leckes Angebot, sich am vorbereiteten kalten Buffet zu bedienen, reagierte Strauß höchst erfreut: „Gott sei Dank – das habe ich eben schon gleich gesehen!“
Anschließend hielt Strauß vor dem Rathauseingang eine kurze Rede. Zunächst ging er auf die Einleitung seines Gastgebers Jürgen Gansäuer ein. Dieser hatte auf die bayerisch-niedersächsische Gemeinsamkeit im Krieg 1866 gegen die Preußen angespielt. Franz Josef Strauß erwiderte scherzhaft, dass im Gegensatz zu 1866, wo ohne Bayern die entscheidende Schlacht verloren wurde, die Bayern hier ihren hannoverschen Freunden helfen wollten, die Wahl zu gewinnen. Anschließend ging es zur Sache und Strauß teilte gegen die politischen Gegner – vor allem die „Grünen“ – aus: „Ich sehe mich nicht in der Lage, eine Partei als demokratische Partei anzuerkennen, die die Farbe Grün, die mir lieb ist, missbraucht“. Die Befolgung der „Parolen“ der „Grünen“ würde, so Strauß‘ Überzeugung, „weitere neue Arbeitslosigkeit bedeuten […] und unserem Land die dritte Katastrophe in diesem Jahrhundert bescheren“. Bei den Landtagswahlen ging es laut Strauß darum, die „Fortsetzung einer guten Politik zu ermöglichen, eine langfristig angelegte Politik zu sichern, Kontinuität in die Politik zu bringen.“
Aus gegebenem Anlass kam Strauß auf das Thema Atomenergie zu sprechen: Eineinhalb Monate vor dem Besuch des Bayerischen Ministerpräsidenten in Laatzen ereignete sich die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl. Zudem erreichten die Demonstrationen und Ausschreitungen um den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf im bayerischen Landkreis Schwandorf in der Oberpfalz ihren Höhepunkt. Franz Josef Strauß positionierte sich in seiner Rede klar pro Atomenergie: „Wenn wir unsere Anlagen stilllegen würden, würden doch die Russen ihre Anlagen trotzdem weiter betreiben. Unsere Lage wäre um kein Haar anders.“ Bei einem Ausstieg aus der Kernkraftgewinnung würde man, so Strauß, ins „industrielle Mittelalter“ versinken. Mit seinen Positionen stieß Strauß wenig überraschend nicht nur auf Zustimmung: Am Rande der Versammlung vor dem Rathaus demonstrierten drei „Grüne“ mit einem Spruchband gegen Wackersdorf.
Nach dem Besuch im Laatzener Rathaus begleitete Strauß Jürgen Gansäuer auf eine große und sehr gut besuchte Wahlkampfveranstaltung der CDU in Hannover vor dem Neuen Rathaus. Dort begrüßte Gansäuer in seiner damaligen Funktion als CDU-Bezirksvorsitzender den Bayerischen Ministerpräsidenten. Der Niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht hatte sich beharrlich geweigert, Strauß persönlich willkommen zu heißen. Das Verhältnis der beiden Ministerpräsidenten war, so Gansäuer, „von einer extremen Antipathie geprägt.“
Ob Jürgen Gansäuer und die Laatzener CDU von dem Wahlkampfauftritt des Bayerischen Ministerpräsidenten profitieren konnten, lässt sich kaum sagen. Bei der Landtagswahl am 15. Juni 1986 konnte die SPD mit ihrem Kandidaten Hans Lehnert den Wahlkreis gewinnen, nachdem sie ihn vier Jahre zuvor überraschend hatte abgeben müssen. Hans Lehnert hatte innerhalb seines Wahlkreises in Laatzen am besten abgeschnitten und holte 47,9% der Stimmen (45,0% im gesamten Wahlkreis). Jürgen Gansäuer erreichte in Laatzen mit 39,9% weniger Stimmen als im gesamten Wahlkreis (41,2%). Über die Landesliste zog er aber trotzdem in den Landtag ein. Die Grünen holten in Laatzen 5,5% (6,5% im gesamten Wahlkreis) und die FDP kam in Laatzen auf 6,3% (7,0% im gesamten Wahlkreis). Im Niedersächsischen Landtag verlor die CDU ihre absolute Mehrheit und bildete mit der FDP nur eine knappe Mehrheit. Ernst Albrecht konnte Ministerpräsident bleiben.
Etwas mehr als zwei Jahre nach seinem Wahlkampfauftritt in Laatzen brach der Bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß bei einer Hirschjagd in der Nähe von Regensburg bewusstlos zusammen. Nach einer Notoperation erlangte er das Bewusstsein nicht wieder und erlag am 3. Oktober 1988 im Alter von 73 Jahren einem Multiorganversagen. An den Trauerfeierlichkeiten für den bayerischen Landesvater, der von vielen verehrt, aber auch von vielen gehasst wurde, beteiligten sich etwa 100.000 Menschen – u.a. wurde der Sarg in einem Trauerzug durch München gefahren.
Jürgen Gansäuer erinnert sich heute noch gerne an die Begegnungen mit Franz Josef Strauß zurück: „Ich hatte zu Strauß ein sehr gutes Verhältnis, obwohl ich mit seinen politischen Überzeugungen nicht immer übereinstimmte. Er hat dies aber immer sehr freundschaftlich akzeptiert, was manche heute rückblickend kaum für möglich halten. Auf diese Weise ist ein Bild von ihm entstanden, das mit den persönlichen Strukturen dieses Mannes nicht immer im Einklang steht. Genährt wird dieses natürlich auch durch Fehler, die man ihm leider zuordnen muss.“