Die Ortsbesichtigung in Ingeln 1902
„Bei Gelegenheit der neuerdings durch den Herrn Kreisarzt Dr. Becker vorgenommenen Ortsbesichtigung in Ingeln hat sich ergeben, daß zahlreiche Mist-
und Dungstätten insofern in mangelhaftem Zustande sich befinden, als bei denselben nicht hinreichende Vorkehrungen getroffen sind, die das Ablaufen der Jauche auf die Straße hindern.“
Der Bericht über die im Jahre 1902 durchgeführte Ortsbesichtigung in Ingeln gibt interessante Einblicke in die Gesundheits- und Lebensverhältnisse im Dorf vor 120 Jahren. Neben dem zusammenfassenden Ergebnisbericht des Kreisarztes ist auch ein ausführlicher Fragebogen überliefert. Demnach zählte die Gemeinde Ingeln zum Zeitpunkt der Ortsbesichtigung am 23. Mai 1902 330 Einwohnerinnen und Einwohner. Die Gesundheitsverhältnisse im Allgemeinen wurden als „befriedigend“ bezeichnet. Zur Frage nach ansteckenden Krankheiten wird auf die letzte 1888 herrschende Epidemie an Diphterie verwiesen. Neben den beantworteten Fragen können auch die Fehlanzeigen durchaus interessant sein. So gibt es unter „Überwachung der Prostitution“ ebenso keinen Eintrag wie bei „Sonstige bemerkenswerte Vorkommnisse“.
Der zweite überprüfte Bereich nach den Gesundheitsverhältnissen waren die Wohnstätten. Hier erfahren wir zum allgemeinen Charakter der menschlichen Wohnungen, dass es „der in ländlichen Bezirken übliche“ sei. „Massenwohnungen“ und „Asyle“ gab es in Ingeln Anfang des 20. Jahrhunderts nicht. Dafür ist unter dem Punkt „Schlafgänger- und Kostgängerwesen“ vermerkt, dass zwei sehr sauber gehaltene Schlafstellen bei dem Bergmann Toboldt existierten. Bei Kostgängern handelte es sich um Bergarbeiter, die für Kost und Unterkunft bei einer Bergarbeiterfamilie einquartiert waren. Die ausführlichsten Stellungnahmen gab es zu den Bereichen „Art der Behandlung der unreinen Abgänge auf den Grundstücken, in den Ortschaften“ und „Schmutzwasser-Leitungen, Rinnsteine, geschlossene Kanäle“. Das einleitende Zitat deutet bereits darauf hin, dass hier die bei der Ortsbesichtigung festgestellten Hauptprobleme der Gemeinde Ingeln lagen. Demnach ist „der Weg streckenweise stark verunreinigt, weil die Unsitte besteht, alles Schmutzwasser auf die Straße zu schütten.“ Da „viele Miststätten“ von den öffentlichen Wegen nicht hinreichend abgeschlossen waren, würden die „Jauchewässer über den Weg fließen.“ Ein weiteres Problem betraf eine „Thonrohrleitung“, welche am Nordwestende des Dorfes in einen offenen Graben mündete. Über diesen Graben floss das Abwasser „durch die Feldmark nach dem Nordostrande des Nachbardorfes Oesselse, um schließlich in die Bruchriede und damit in die Leine zu gelangen.“
Auch das Wasser wurde bei der Ortsbesichtigung überprüft – hier hatte der Kreisarzt weniger zu beanstanden. Die Wasserversorgung der Ortschaft war zufriedenstellend, denn „wegen hohen Grundwasserstandes ist überall leicht gutes Wasser zu haben.“ Es gab meistens offene, runde und gemauerte Kesselbrunnen. Unter dem Bereich Nahrungs- und Genussmittel wurde abgefragt, ob eine Kontrolle des Verkehrs mit Milch stattfand. Dabei nahm der Kreisarzt Dr. Becker die im Oktober 1894 eröffnete Molkerei Guggemos unter die Lupe. Diese verarbeitete täglich 1000 Liter Ingelner Milch zu verschiedenen Produkten. Die Butter wurde nach Hannover gefahren, Käsequark wurde nach Harsum verschickt. Das beim Betrieb entstandene Abwasser gelangte in den Hauptwasserkanal. Fazit: „Die Molkerei war äusserst sauber gehalten.“ Zudem erfahren wir, dass es in Ingeln keine Schlachthäuser sowie Mineralwasserfabriken gab und in der Berichtszeit keine Gesundheitsschädigungen durch verfälschte oder verdorbene Nahrungsmittel bekannt geworden waren.
Weitere im Fragebogen vorgesehene Örtlichkeiten konnten vom Kreisarzt nicht besichtigt werden, da sie in Ingeln nicht existierten. So waren im Jahre 1902 Schulen, Gefängnisse, Armenärzte, kommunale Krankenhäuser, psychiatrische Kliniken (damals als „Irrenanstalten“ bezeichnet), Waisenhäuser, Bade- und Schwimmanstalten, Heilquellen, Begräbnisplätze und Leichenhallen nicht vorhanden.