Impfungen und Infektionsschutz in der Nachkriegszeit in Oesselse
Der Umgang mit Infektionskrankheiten nach dem Zweiten Weltkrieg
Der Archivfund des Monats Juli beschäftigt sich mit dem Umgang mit Infektionskrankheiten in Oesselse nach dem Zweiten Weltkrieg. Anhand von drei Schriftstücken aus dem Archiv soll exemplarisch dargestellt werden, wie mit den in dieser Zeit besonders verbreiteten Krankheiten – Pocken, Diphtherie und Polio – und den Impfungen dagegen umgegangen wurde.
In einigen Regionen wurde die Impfung gegen die Pocken zur Pflicht. Auch in Oesselse war dies 1948 so. In einem Schreiben informierte das Gesundheitsamt des Landkreises Hildesheim-Marienburg am 30.8.1948 die Gemeinde Oesselse über die Durchführung der diesjährigen öffentlichen Schutzpockenimpfung. Der Impfpflicht unterlagen Kinder im Alter von einem und zwölf Jahren. Demnach waren 1948 die sog. „Erstimpflinge“ aus dem Jahrgang 1947 und die „Wiederimpflinge“ aus dem Geburtsjahrgang 1936 mit der Impfung an der Reihe. Verantwortlich für die Vorstellung der Kinder beim Impftermin waren die Eltern oder die Erziehungsberechtigten. Bei Nichtantreten folgten Konsequenzen: „Impfweigerungen werden nach den Bestimmungen des Reichsimpfgesetzes vom 8.4.1874 mit Geldstrafe bis zu fünfzig Reichsmark oder mit Haft bis zu drei Tagen bestraft.“ Zur Vorbereitung der Impfung sollte die Gemeinde Oesselse Impflisten ausfüllen. Am Impftermin mussten der Gemeindedirektor und ein Lehrer teilnehmen. Der Gemeindedirektor hatte „für Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung zu sorgen.“ Die Impfung wurde schließlich am 17.9.1948 durchgeführt. Ein letzter nachgewiesener Pocken-Fall in der Region ereignete sich 1972 in Hannover. 1980 erklärt die Weltgesundheitsorganisation die Pocken als offiziell ausgerottet, daraufhin wurde die weltweite Impfpflicht aufgehoben.
„Dass die "normalen" Pocken seit 1980 als ausgerottet gelten, ist auch auf die Pocken-Impfpflicht zurückzuführen. Der Archivfund des Monats Juli zeigt, wie die Pocken-Impfpflicht in der Gemeinde Oesselse in der Nachkriegszeit umgesetzt und wie generell mit Infektionskrankheiten an Schulen umgegangen wurde. Einen aktuellen Bezug bekommt dieses Archiv-Thema durch das Auftreten von Affenpocken seit Mitte Mai 2022“, so Stadtarchivar Manuel Schwanse über seine Auswahl. „Auch in Niedersachsen sind bereits die ersten Impfungen gegen diese Pocken vorgenommen worden“, so Schwanse weiter.
Das zweite Schriftstück berichtet darüber, dass am 24.10.1951 an der Volksschule eine Diphterie-Scharlachschutzimpfung angeboten wurde. Einem Schreiben des Ordnungsamtes des Landkreises Hildesheim-Marienburg den Erziehungsberechtigten der Kinder wurde eine „Aufforderung zur Impfung“ sowie ein Merkblatt zugestellt. Ohne Impfpflicht blieb es aber bei der Aufforderung und eine Impfweigerung konnte anders als bei der Pockenschutzimpfung nicht bestraft werden.
Ein drittes Schreiben aus dem Jahr 1952 informiert über die in den 1950er Jahren immer wieder seuchenartig ausbrechende und hochansteckende Viruserkrankung Polio, welche vor allem Kinder getroffen hat. Die dort aufgeführten Maßnahmen zur Verhütung, Weiterverbreitung und Bekämpfung der Krankheit erinnern stark an die Maßnahmen, die auch zum Schutz vor Corona getroffen wurden. So ordnete der Niedersächsische Sozialminister im Einvernehmen mit dem Niedersächsischen Kultusminister für das Land Niedersachsen unter anderem für sämtliche Schulen diverse Maßnahmen an, wie etwa das Einstellen des obligatorischen Schwimmunterrichtes sowie den Verzicht auf Sportveranstaltungen und Schulausflüge. Ab 1962 wurde in Westdeutschland gegen Polio mit der Schluckimpfung geimpft, die mit einem Stück Würfelzucker verabreicht wurde. Schnell zeigten sich erste Erfolge, die mit dem Motto "Kinderlähmung ist grausam, Schluckimpfung ist süß" aufrechterhalten werden sollten. Seit rund 15 Jahren gilt Europa als Polio-frei.
Der Archivfund des Monats ist – wie auch alle Vorgängerfunde – in der Reihe „Archivale des Monats“ auf der Homepage der Stadt Laatzen unter dem Link https://www.laatzen.de/de/stadtarchiv.html zu finden.